Unbestechlich, unbequem, unverkrampft. Der österreichische Filmnachwuchs macht auf sich aufmerksam



Lange Zeit war es ruhig um den österreichischen Film. Nach vielen Jahren der Abwesenheit von den Wettbewerbs-Programmen der großen internationalen Filmfestivals durchbrach erstmals Michael Haneke mit "Funny Garnes" mit seiner Einladung nach Cannes 1997 diese peinliche Situation. Auch im Alpenland selbst tat sich in den 90er-Jahren nicht viel. Noch 1995 zogen Christian Cargnelli und Michael Omasta in einem Artikel mit dem anspielungsreichen Titel "Der österreichische Film kann gar nicht besser sein" offensichtliche Parallelen zum Dilemma des deutschen Films in den Nachkriegsjahren: "Er ist schlecht. Es geht ihm schlecht. Er macht uns schlecht. Er wird schlecht behandelt. Er will auch weiterhin schlecht bleiben."
Mit seinen beschränkten Möglichkeiten suchte das 1981 gegründete Österreichische Filminstitut (ÖFI) einen Ausweg aus der Misere, doch meistens blieb ihm nichts weiter übrig, als den Mangel zu verwalten. Wie in anderen kleineren europäischen Filmländern, zum Beispiel Portugal und den Niederlanden, waren die zu vergebenden finanziellen Mittel in ihrer Streuung zwischen künstlerischer und wirtschaftlicher Förderung wenig mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Immerhin aber hielt man irgendwie den Kopf über Wasser. Der Wiener Filmfinanzierungsfonds (WFF) förderte in erster Linie internationale Großproduktionen mit "Wien-Bezug". Wie anderswo auch, wurden so die Fernsehgelder aus einem Abkommen zwischen dem ORF und dem ÖFI zu einer nicht zu vernachlässigenden Größe; außerdem hielt das Fernsehen manch einen Filmschaffenden in Lohn und Brot.

Licht am Ende des Tunnels

Dann erschien ein Licht am Ende des Tunnels. Bis 1998, als die Komödie "Hinterholz 8" von Harald Sicheritz über 600.000 Zuschauer in die Kinos lockte, hatte "Müller's Büro" von Niki List aus dem Jahr 1986 (!) die Liste der erfolgreichsten österreichischen Produktionen angeführt. "Hinterholz 8" und "Eine fast perfekte Scheidung" von Reinhard Schwabenitzky war es in erster Linie zu verdanken, dass 1998 das erfolgreichste Jahr fürs österreichische Kino seit langem wurde. Immerhin erreichte es mit seinen - im Durchschnitt - gerade einmal 15 Produktionen pro Jahr, die im Mittel einen Etat von ca.
20 Mio. Schilling (ca. drei Mio. DM) aufweisen, einen beachtlichen Marktanteil von acht Prozent. Auch sonst blickten Österreichs Filmschaffende optimistischer in die Zukunft, denn die damalige Regierung stellte nun auch eine großzügigere Förderung in Aussicht. Vom "Milliarden Effekt" war plötzlich die Rede, ungeahnte Perspektiven schienen sich auf zu tun - bis der Regierungswechsel und die Machtübernahme durch FPÖ/ÖVP alles wieder über den Haufen warf. Plötzlich gab es ganz andere Prioritäten. Dass sich viele österreichische Filmemacher öffentlich gegen Haider wandten, ließ dessen Parteifreunde nicht kalt. Auf der "Diagonale" 2000 in Graz kam es zum Eklat, als in einer Art Disziplinierungsversuch das Preisgeld durch die steirische Landesregierung schlicht gesperrt wurde.
Doch nicht nur rein wirtschaftliche Aspekte hatten in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre für Zuversicht und ein größeres Interesse des Auslands am Filmland Österreich gesorgt. Auch in künstlerischer Hinsicht tat sich nun einiges. Neben etablierten und unterschiedlichen Regisseuren wie Harald Sicheritz, Reinhard Schwabenitzky, Peter Patzak ("Gefangen im Jemen"), Niki List ("Helden in Tirol"), Michael Haneke ("Funny Garnes", "Code: unbekannt"), Ulrich Seidl ("Models") und Michael Kreihsl ("Charms Zwischenfälle", "Heimkehr der Jäger") erschien eine junge Generation von Filmemacher-(inne)n auf der Bildfläche, die in den letzten Jahren auf Festivals im In- und Ausland für Aufmerksamkeit sorgten. Im Bereich des Dokumentarfilms entstanden beeindruckende Produktionen von Nikolaus Geyrhalter ("Das Jahr nach Dayton", "Pripyat") oder Go-ran Rebic ("The Punishment"). Im Experimentalfilm-Bereich setzt u.a. Martin Arnold ("Pièce touchée", "Passage à l'acte") die große österreichische Tradition fort. Auch im Spielfilm traten Jung-Regisseure aus dem Schatten heraus. Stefan Ruzowitzkys Spielfilm "Die Siebtelbauern" riss die amerikanische Kritik gar zu Vergleichen mit "Days of Heaven" hin. Und Peter Payer schuf mit "Untersuchung an Mädeln" eine zwar etwas effektheischend geratene, aber durchaus überzeugende Verfilmung eines Romans von Albert Drach.

Kreatives Zentrum: Die Wiener Filmakademie

Auffälligstes Signal dieses Aufbruchs war die Einladung von Barbara Alberts Spielfilmdebüt "Nordrand" zum Wettbewerb von Venedig 1999. Bereits in den Jahren davor hatte sie auf verschiedenen Festivals mit ihren Kurzfilmen "Sonnenflecken" und "Die Frucht deines Leibes" ("Leopard von morgen" in Locarno 1997) sowie mit ihrer Beteiligung an dem Episodenfilm "Slidin' - Alles bunt und wunderbar" (1998, zusammen mit Reinhard Jud und Michael Grimm) auf sich aufmerksam gemacht. Lichtjahre entfernt vom Österreich-Bild etwa eines Franz Antel ("Der Bockerer 3") widmet sie sich der Realität ihres Heimatlands, ohne sich die müßige, aber oft diskutierte Frage zu stellen, was an einem österreichischen Film in den Zeiten internationaler Co-Produktionen überhaupt noch "österreichisch" sei. Ihre besondere Fähigkeit besteht darin, ihre Figuren (in erster Linie Frauen) überzeugend vor einem sehr konkreten Alltag zu zeichnen. Als Produkte und Gefangene ihrer Umwelt ist ihre gesamte Existenz von diesem Alltag bestimmt. Doch Albert macht aus dieser Situation alles andere als eine Elendsbeschreibung. Im Gegenteil: Ihre Heldinnen überzeugen durch ihre "Erdigkeit", ihren Mut, die Kraft und die Fantasie, mit der sie den äußeren Anfeindungen begegnen. Seien es die beiden Frauen in "Sonnenflecken" (1998) oder das kleine Mädchen in "Die Frucht deines Leibes" (1996), das erste beängstigende Erfahrungen mit der Welt der Erwachsenen (und der Sexualität) macht: für Larmoyanz ist kein Platz. Dieses grundsätzliche Talent der Figurenzeichnung von Albert mag auch dafür mit verantwortlich gewesen sein, dass Nina Proll, eine der beiden Hauptdarstellerinnen in "Nordrand" und neuer österreichischer Shooting-Star, mit dem "Marcello-Mastroianni-Preis" für die beste Nachwuchsdarstellerin in Venedig ausgezeichnet wurde.
Einen wesentlichen Schub erhielten Barbara Albert und andere junge Filmemacher(inne)n durch ihr Studium an der Wiener Filmakademie, die sich in den letzten Jahren - seit der Berufung von Wolfgang Glück zum Abteilungsleiter im Herbst 1997 - zu einem echten kreativen Zentrum entwickelt halt. Studenten schätzen die Filmakademie nun als einen Ort der lebendigen Kommunikation, wozu sicher auch beigetragen hat, dass öfter als früher auch Gastdozenten aus der Branche wie Michael Haneke die rein akademische Perspektive mit ihrem Erfahrungsschatz maßgeblich erweitern. Valentin Hinz, Antonin Svoboda, Kris Krikellis, Ruth Mader, Kathrin Resetarits, Jessica Hausner und Mirjam Unger sind die wichtigsten Namen an die wohl auch ein Kenner der Szene dachte, als er von der "Nouvelle Vague viennoise" sprach. Mit Themen abseits des Mainstream haben sie ihr Arbeitsfeld gefunden, langweilig sind ihre Filme deshalb aber noch lange nicht. Die frische, lebens-und zeitnahe Inszenierung kommt durchaus auch bei breiteren Publikumsschichten an, nicht zuletzt bei jüngeren Zuschauern, die sich in den Figuren der Filme wieder erkennen können.
Gerade diese Filmemacher sind allerdings auch am stärksten von einer Reduzierung der öffentlichen Förderung betroffen. Trotzdem hat Mirjam Unger Ende 2000 ihr Spielfilmdebüt "Ternitz Tennessee" fertig stellen können. Nina Proll und Sonja Romei spielen die zwei Freundinnen Lilly und Betty, die in der österreichischen Provinz ihren Träumen hinterher jagen. So flapsig und betont amüsant der Film auch daher kommt: Hinter den humorvoll-ironischen Beobachtungen lugt immer auch ein Stück österreichische Wirklichkeit hindurch, sei es in Form des alpenländischen Machismo oder der Tristesse und Borniertheit des provinziellen Alltags. Auch wenn Ungers Debüt um einiges greller daher kommen mag als ihre Kurzfilme "Speak Easy" (1997) und "Mehr oder weniger" (1999) - das wache Interesse an der Psychologie ihrer Figuren und das Verständnis für deren Situation, der ungeschönte Blick ins "pralle Leben", das kaum so richtig mit den Wunschträumen zu vereinbaren ist, diese Konstanten sind es, die Mirjam Ungers Filme wirklich prägen.
Was bei Unger und ihren Kolleginnen Jessica Hausner und Kathrin Resetarits noch dazu kommt, ist die Fähigkeit, in ihren Arbeiten einen ungeheuer spannungsvollen Schwebezustand zwischen Dokumentarischem und Fiktion zu halten. In "Fremde" (1999, ausgezeichnet mit dem Hauptpreis des Internationalen Wettbewerbs in Oberhausen 2000) porträtiert Kathrin Resetarits eine allein erziehende Mutter, die im Wiener Flughafen am VIP-Schalter arbeitet. Durch die Ankunft von Hollywood-Star Matt Damon wird sie kurzfristig aus ihrem täglichen Einerlei katapultiert - doch die aufflackernden Sehnsüchte werden ebenso schnell wieder enttäuscht. Lakonische Beobachtungen am Rande der Ereignislosigkeit verdichten sich in "Fremde" zu einer präzisen, schnörkellosen Milieustudie. Gleiches gilt für die Filme von Jessica Hausner, "Flora" (1996) und "Inter-View" (1999, Lobende Erwähnung bei der Nachwuchs-Reihe "Cinefondation" in Cannes). Auch sie widmet sich vor allem jugendlichen Figuren, Außenseitern auf der Suche nach ihrem Platz in der Gesellschaft und nach dem privaten Glück. Besonders ihr merkt man in manch düster-pessimistischen Momenten den Einfluss Michael Hanekes an, bevor sie dann aber wieder zu der gelassenen Melancholie eines Mika Kaurismäki findet, die von einer tiefen Zuneigung zu den Protagonisten durchdrungen ist. In Kürze wird auch sie ihren ersten langen Spielfilm vorstellen, "Lovely Rita", der sich in der Post-Produktion befindet. Im Zentrum steht einmal mehr eine jugendliche Außenseiterin, die in ihrem starken Bedürfnis nach Nähe an ihrer Umwelt auf tragikomische Weise zu scheitern droht.
(Hans-Jörg Marsilius, Film-Dienst Nr. 5, 2001)


Internet-Seiten zum österreichischen Film


Österreichische Filmkommission
Verband österreichischer Filmproduzenten
Database des unabhängigen österreichischen Films
Homepage der "Diagonale" Graz


www. deutsches-filminstitut.de/f_films.htm