Thea von Harbou
Thea Gabriele von Harbou wird am 27.12.1888 als Tochter von Clotilde Constance d’Alige und Theodor von Harbou in Tauperlitz bei Hof (Bayern) geboren. Ihr Bruder ist der Standfotograf Horst von Harbou. Die Eltern bewirtschaften unter schwierigen Verhältnissen ein ehemaliges Rittergut, das sie schon bald verkaufen müssen. Die Familie zieht zunächst in die sächsische Schweiz, und von dort aus nach Niederlössnitz bei Dresden.
Bereits mit neun Jahren schreibt die Tierliebhaberin und begeisterte Karl-May-Leserin ihre ersten Texte: Katzengeschichten, die in den regionalen Zeitungen abgedruckt werden; 1902 veröffentlicht sie ihren ersten Gedichtband; 1905 druckt die Deutsche Zeitung ihren ersten Roman „Wenn’s Morgen wird.“ Sie schreibt aus Leidenschaft, aber auch, um die Familie zu unterstützen, der es seit dem Tod des Vaters finanziell schlecht geht.
1906 geht Thea von Harbou – Schützling von Ferdinand Gregory und Luise Dumont – zur Bühne. Nach ihrem Debüt am Theater in Düsseldorf folgen Engagements in Weimar (1908-1910), Chemnitz (1911-1913) und Aachen (1913-1914). Thea von Harbou beschreibt ihre anfängliche schauspielerische Leistung als „grauenhaft“, später dann als „besser bis gut“. (1)
Am Aachener Stadttheater lernt sie ihren ersten Mann, den Regisseur und Schauspieler Rudolf Klein-Rogge kennen, den sie am 28. September 1914 heiratet. Mit der Schließung des Aachener Stadttheaters gibt sie die Schauspielerei auf.
Zu Beginn des Ersten Weltkriegs veröffentlicht sie Novellen und Romane, die sie „dem deutschen Volke“ widmet, und die an die patriotische Gesinnung der „deutschen Frau“ und der Jugend appellieren. (2)
Der Berliner Verlag Ullstein & Co nimmt sie 1917 unter Vertrag; es entstehen Unterhaltungsromane (Die Flucht der Beate Hoyermann, Das indische Grabmahl), deren Handlungen sie in exotische Gegenden wie Indien, China und Russland verlegt.
1918 siedelt das Ehepaar, das seit 1915 wegen eines Engagements Klein-Rogges am Stadttheater in Nürnberg lebt, nach Berlin um. Durch den Vorabdruck ihrer Geschichten in der „Berliner Illustrierten Zeitung“ ist Thea von Harbou inzwischen einer breiten Leserschaft bekannt.
1918 arbeitet sie als Drehbuchautorin für die Eiko-Filmgesellschaft, das Projekt wird jedoch nicht realisiert. 1919 verfasst Thea von Harbou ihr erstes Drehbuch, Die Legende von der heiligen Simplicia (1920, R: Joe May), eine Adaptation ihrer gleichnamigen Novelle. (3)
Drehbucharbeiten und Filme
Schreiben für den Film
Thea von Harbou zählt zu den produktivsten Autorinnen des deutschen Films. Neben zahlreichen Romanen, Gedichten und Novellen schrieb sie über 60 Drehbücher und führte bei zwei Filmen selbst Regie: Elisabeth und der Narr (1933) und Hanneles Himmelfahrt (1933/1934).
Ihr filmisches Werk umfasst eine Zeitspanne von mehr als 30 Jahren; sie arbeitete für den Stumm- wie für den Tonfilm und prägte den deutschen Film in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus.
Durch ihre Zusammenarbeit mit Regisseuren wie Joe May, Fritz Lang, Robert Dinesen und Friedrich Wilhelm Murnau hat sie sich in der Filmbranche sehr früh einen Namen gemacht und sich – im Unterschied zu vielen Kolleginnen – selbstbewusst einen Platz erobert. (4)
Ihre Drehbücher und Filme treffen bei der damaligen Filmkritik auf wenig positive Resonanz. Zu sentimental und trivial sind ihre Stoffe. Zu Beginn der zwanziger Jahre sind es mystische Geschichten und Heiligenlegenden wie Die heilige Simplicia/Die Legende von der heiligen Simplicia, Das wandernde Bild (1920, R: Fritz Lang), exotische Abenteuer (Das indische Grabmahl 1921, R: Joe May) und nationale Epen (Der müde Tod 1921, Die Nibelungen 1922-1924, R: Fritz Lang).
Mit ihrem zweiten Ehemann Fritz Lang, den sie bei den Vorbereitungen für Das indische Grabmahl kennen lernt und den sie im August 1922 heiratet, bildet sie das ideale Produktionspaar: Im Laufe ihrer Zusammenarbeit entstehen Filmklassiker wie Dr. Mabuse, der Spieler (1921/22), Metropolis (1925/26) und M (1930/31), die Fritz Lang international bekannt machen sollten.
Noch heute gilt Lang als der geniale Regisseur, der die „kitschigen“ Visionen Thea von Harbous in dramatische Bilder übersetzte. Doch Thea von Harbou beherrschte ihr Handwerk: Sie besaß einen Instinkt für publikumswirksame Stoffe, praktizierte eine industrielle Arbeitweise, übernahm Auftragsarbeiten, schrieb Drehbücher anderer Autoren um und verfolgte eine „multimediale Verwertungspraxis.“ (5)
Mit ihrem Technikverständnis, ihrem Interesse an filmischen Produktionsabläufen und ihrer Arbeitsmethode, Roman und Drehbuch gleichzeitig entstehen zu lassen, zählt sie zu denjenigen Autorinnen, die zielsicher für das neue Medium schrieben. (6) Thea von Harbous Stärke ist es, das Geschehen in die Bildsprache des Films zu übersetzen: Pudovkin attestiert ihr eine ausgesprochen kinematograpghische Schreibweise: das Kamerabild und nicht die Psychologie des Romans stehen im Blickpunkt der Autorin, wie er am Beispiel von „Spione“ ausführt. (7)
Nationale Mythen
Mit Fritz Lang teilt Thea von Harbou die deutsch-nationale Gesinnung, die sich bereits in ihrer Kriegsliteratur während des Ersten Weltkriegs niederschlägt. Geprägt von Rassismen und kolonialen Phantasien findet diese Gesinnung ihren literarischen und filmischen Ausdruck in exotischen Schauplätzen und nationalen Mythen. Das Drehbuch für Die Nibelungen (1922-1924) ist ein monumentales Epos, das sie „dem deutschen Volke“ widmet. Personifiziert in den „Lichtgestalten“ Siegfried und Kriemhild stilisiert der Film den „deutschen Menschen“ als vorbildhaften Typus, während die Hunnen als barbarisch, kleinwüchsig und in einem Loch hausend dargestellt werden. Diese abwertende Zeichnung der Charaktere bzw. Volksgruppen nimmt die Kultur- und Rassentheorie der Nationalsozialisten vorweg. (8)
Filmkritiker wie Lotte Eisner und Siegfried Kracauer weisen auf die rassischen und nationalistischen Implikationen, die der Film – und nicht nur das Drehbuch – transportiert. (9) Die konservative Presse hingegen ist voll des Lobes für dieses Dokument des „Deutschtums“. (10)
Trotz aller Deutschtümelei versprach man sich von dieser Großproduktion im Ausland, insbesondere in Amerika, Erfolg, der allerdings ausblieb.
Mythos und Moderne
Ende der zwanziger Jahre ist die moderne Großstadt Thema der Lang/Harbou-Filme: Dr. Mabuse, der Spieler (1921/22) zeichnet die Nachkriegsgesellschaft der Weimarer Republik als dekadent, lasterhaft und hysterisch. Sie wird zur leichten Beute für einen Tyrannen der Unterwelt, der sich der Hypnose bedient, um sich die Menschen gefügig zu machen.
Wie bereits in den Nibelungen fließen auch hier Erkenntnisse der modernen Wissenschaft ein: Unterschiedliche Wissensgebiete und Praktiken wie Psychoanalyse, Kommunikationstechnik, Okkultismus und Vergnügungskultur kurzgeschlossen. (11) Metropolis (1925/26) greift den Mensch-Maschine-Komplex auf und verlegt die Handlung in eine futuristische Großstadt. Dieses Thema der Moderne wird allerdings mit mittelalterlichen Mythen und Mystizismen und den für Thea von Harbou typischen Sentimentalitäten aufgeladen. Das Fazit des Films „Mittler zwischen Hirn und Händen muß das Herz sein“, wurde schon von der damaligen Presse als „Sozialkitsch“ abgetan. (12)
Die Frau im Mond (1928/29), einer der größten Kassenschlager seiner Zeit, nimmt sich das damals populäre Thema „Raketenforschung“ vor. (13) Die Entstehungsgeschichte dieses Films ist außergewöhnlich, da Fritz Lang mit Hermann Oberth, dem führenden Wissenschaftler auf dem Gebiet der Raketenforschung, zusammenarbeitete, dessen Experimente die UFA finanzierte. (14)
Metropolis und Die Frau im Mond sind die beiden einzigen „Science-Fiction“-Romane der Autorin, die „von Maschinen fasziniert“, Technikgeschichte, Mythologie und Weiblichkeit verknüpft. In der Figur des Weiblichen gehen Technik und Mythologie eine paradoxe Verbindung ein: Beispiel dafür ist „Maria“, die Roboter-Frau aus Metropolis und Friede, die junge Physikstudentin aus Die Frau im Mond, die der Rakete ihren Namen gibt. (15)
Trotz der Modernität der Themen bleiben Thea von Harbous Geschichten meist trivial und rührselig und ihr Frauenbild anachronistisch. Ob Ärztin, Physikstudentin oder Fabrikantin: in den Drehbüchern der Harbou ist die Frau eine ewig Liebende, aufopfernd und treu bis in den Tod. Das bringt ihr den Spitznamen „Lady Kitschener“ ein. (16) (Keiner, S. 163)
Das nächste gemeinsame Projekt des Ehepaars ist M (1930/31), der erste Tonfilm, bei dem auch Fritz Lang am Drehbuch mitgewirkt hat.
Weit entfernt vom Pomp, den Papp-Kulissen und dem „Sozialkitsch“ von Metropolis, zeichnet der Film in realistisch anmutenden Bildern das Psychogramm eines Kindermörders und einer Großstadt, deren Bewohner, in Angst und Schrecken versetzt, zur Selbstjustiz greifen.
Während sich M das brisante Thema „Todesstrafe“ vornimmt, ist es in Das erste Recht des Kindes (1932, R: Fritz Wendhausen) das Thema Abtreibung. Harbou, erklärte Paragraph-218-Gegnerin ergreift mit diesem Film Partei für „freiwilliges Muttertum“ und die Selbstbestimmung der Frau. (16) Um die unterschiedlichen Standpunkte der Debatte zu präsentieren, werden kaleidoskopartig Hunderte von Fällen gestreift.
Lob erhält Thea von Harbou von der zeitgenössischen Kritik für ihren überzeugenden Umgang mit Statistiken. (17)
Obwohl der Film auf eine politische Stellungnahme verzichtet, wird er 1933 mit der Begründung verboten, er sei ein „Instrument des infamsten Klassenkampfes“ und eine „Gefährdung der Volksgesundheit“. (18)
Mit diesem Drehbuch für Fritz Wendhausen ist die Phase der engen und ausschließlichen Zusammenarbeit mit Fritz Lang beendet. Seit dem Verhältnis des Regisseurs mit der Schauspielerin Gerda Maurus steckt die Ehe in einer Krise. Grund für die endgültige Trennung ist jedoch die Beziehung Thea von Harbous mit dem Inder Ayi Tendulkar, den sie beim Schnitt von Das Testament des Doktor Mabuse (1932) kennenlernte.
Das Testament des Dr. Mabuse ist das letzte gemeinsame Projekt Lang/Harbou. Der Film wird am 29. März 1933 noch vor seiner Uraufführung verboten und erstmalig 1950 in Deutschland gezeigt. Die Organisation des Verbrechens, der unsichtbare Überwachungsapparat in Das Testament ließ – so interpretiert die Filmwissenschaft das Filmverbot – zu offensichtlich auf Parallelen zum Machtapparat der Nationalsozialisten schließen.
Nach zwei jähriger Trennung wird das Paar im April 1933 geschieden, im Sommer emigriert Fritz Lang in die USA. Lang verlässt Deutschland bei Nacht und Nebel, nachdem Goebbels ihm die Leitungsposition der deutschen Filmindustrie angeboten hat. Doch auch die langjährigen Auseinandersetzungen mit der Ufa und die anhaltend schlechte Kritik seiner Filme sind haben ihn veranlasst, Deutschland zu verlassen. (19)
NS-Zeit
1933 wird Thea von Harbou Vorsitzende des Verbandes deutscher Tonfilmautoren, und noch im gleichen Jahr wird das Kino Joseph Goebbels, Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, unterstellt.
Unmittelbar nach der Machtübernahme der NSDAP setzt die Entlassungswelle für jüdische und politisch geächtete Filmkünstler ein.
Dieser Exodus erzeugte einen Mangel an befähigten Filmschaffenden, der Thea von Harbou die Gelegenheit bot, sich als Regisseurin zu versuchen. 20 (Haentsch, S. 71)
Eigene Regie-Arbeiten
„Elisabeth. Die weiße Schwester von St. Veit“ (1933) basiert auf einem Drehbuch von Walter Reimann. Der Handlungsverlauf ist verwirrend:
„Ein Dorftrottel verehrt ein junges Mädchen, das in einem Pensionate untergebracht ist, dem Nonnen von St. Veith vorstehen. Der Organist des Ortes, bei dem das Mädchen Unterricht hat, jagt immer wieder den Dorftrottel fort, dafür schießt der Trottel den Vater des jungen Mädchens nieder, lenkt den Mordverdacht auf den Organisten. Elisabeth wird darauf Novize. Als sie ein ergreifendes Orgelspiel inszeniert, das den Dorftrottel magisch anzieht, bricht dieser durch das Geländer und stürzt sich zu Tode.“ (Film-Kurier Nr. 16 (1934), Nr. 22, 25.1.1934).
Der Film wird am 24.11.1933 der Prüfstelle in Berlin vorgelegt und verboten, eine weitere Prüfung am 12.12. 1933 bestätigt das Verbot. Beanstandet wird die Verbindung von kriminellen und religiösen Handlungen sowie die Verunglimpfung der Polizei und der Katholischen Kirche. Thea von Harbou schreibt daraufhin einen wütenden Brief an die Reichsfachschaft Film, in dem sie die Kompetenz der Sachverständigen in Zweifel zieht. (19) Nach einer dritten Prüfung durch die Film-Oberprüfstelle wird das Verbot aufgehoben mit der Auflage, den Filmtitel in „Elisabeth und der Narr“ zu ändern. (20) Am 24.01.1934 kommt es schließlich zur Uraufführung. Wie bereits in Die Legende von der heiligen Simplicia wird die Frau als Heilige und zugleich als erotisches Objekt inszeniert. Der Film kann die Kritik nicht überzeugen, wird aber als „mutiger Regieversuch“ (21) bezeichnet.
Bemängelt wird die schleppende, sehr konstruiert wirkende Erzählhandlung , die „weder eine rechte Kriminalgeschichte noch ein Kammerspiel ist.“ (22).
Die gleichen Schwächen zeichnen auch ihr nächste Regie-Projekt aus, die Verfilmung der Traumdichtung Hanneles Himmelfahrt (1933/34) von Gerhard Hauptmann, das weder die Filmkritiker noch das Publikum überzeugen können.
Die bevorzugten Genres der nationalsozialistischen Machthaber sind weiterhin das Melodram und die Komödie. Nur ein kleiner Teil von den 1100 Produktionen, die zwischen 1930 und 1940 gedreht wurden, sind Propagandafilme im eigentlichen Sinne. (23)
Zu den Propaganda- bzw. „Staatsfilmen“, für die Thea von Harbou die Drehbücher schrieb, zählen u. a. Der alte und der junge König (1934/35, R: Hans Steinhoff), Der Herrscher (1936/37, R: Veit Harlan) und Annelie (1941, R: Josef von Baky). Letzterer ist ein Staatsfilm für die „Heimatfront“, der – vergleichbar den nationalistischen Pamphleten Thea von Harbous während des Ersten Weltkriegs – die Moral der Frauen stärken soll. In Annelie gibt Luise Ullrich das Modell der deutschen Heldin in Kriegszeiten: Ihr Leben steht im Dienst der Familie, wo der Verlust von Männern, Söhnen und Brüdern tapfer und ohne Verzweiflung ertragen wird.
Wegen ihrer Linientreue und Professionalität zählt Thea von Harbou zu den meist beschäftigten und hochbezahlten Autorinnen des Dritten Reiches. Im Jahr 1939 beläuft sich ihr Verdienst auf 134.500 RM. Wolf-Ulrich Haentsch zufolge hat sie ca. bei einem Drittel Filme mehr mitgewirkt, als offiziell aufgeführt. (24) Thea von Harbou wird sie für die Überarbeitung von Projekten herangezogen, bei denen ihr Name nicht genannt wird. Seit der Einführung des Filmkammer-Gesetzes 1933, das jegliche Form zensorischer Willkür ermöglichte, war die Überarbeitung eingereichter Treatments und Drehbücher nach Prüfung durch den Reichsfilmdramaturgen gängige Praxis.
1940 tritt Thea von Harbou der NSDAP bei. Während der NS-Zeit schrieb sie triviale Unterhaltungsliteratur, vorwiegend Melodramen und Komödien. In der Regel adaptierte sie literarischer Vorlagen oder Bühnenstücke, eigene Stoffe verfasste sie kaum noch. Thea von Harbous Drehbücher erfüllten perfekt die Vorstellungen des Propagandaministeriums, das sich „unpolitische“ Filme, d. h. Zerstreuung für das deutsche Publikum wünschte.
An die künstlerischen Leistungen der Weimarer Republik kann weder Thea von Harbou noch die deutsche Filmproduktion anknüpfen: So findet die utopisch-monumentale Filmarchitektur und die Inszenierung der Massen in Filmen wie Die Nibelungen und Metropolis zwar ihren realen Niederschlag im nationalsozialistischen Repräsentationskult (der Baukunst, den öffentlichen Aufmärschen, den Reichsparteitagen, den Grab- und Weihestätten der NSDAP), die Filme der 30er und 40er Jahre sanken hingegen „auf das Niveau gepflegter Interieurs, gezähmter Gesten und kleiner Gefühle herab.“ (25)
Die Frauenbilder der Thea von Harbou 1933 – 1945
Was für den Großteil der deutschen Filmproduktion gilt, trifft auch auf die Konstruktionen des Weiblichen in Harbous Drehbüchern und Filmen zu: von einer grundsätzlichen Neuorientierung kann man nicht sprechen. Harbous Frauenbilder sind kompatibel mit denjenigen der Nationalsozialisten. Wobei sich zwei verschiede „Typen“ unterscheiden lassen: die opferbereite, leidensfähige und ewig liebende Frau, wie man sie in Eine Frau ohne Bedeutung, Annelie, Mit den Augen einer Frau trifft und dem überlegenen, selbständigen Frauentyp in Die unmögliche Frau, Versprich mir nichts, Die Frau am Scheidewege, Die Gattin, Fahrt ins Glück. (26)
Den ersten Typ trifft man im Melodram, den zweiten in der Komödie an. Im ersten Fall lautet das Schicksal unerfülltes Begehren und Verzicht: auf Ehe, Geld und beruflichen Erfolg. (27) Mit den Augen einer Frau (1942, R: Karl G. Külb) erzählt von einem weiblichen Schicksal: dreimal begegnet der Protagonistin die Liebe und dreimal verliert sie sie, zuletzt an die eigene Tochter.
Bereits nach kurzer Laufzeit wurde der Film von den Zensurbehörden verboten, vermutlich deshalb, weil er von der letzten unabhängigen Filmproduktionsfirma – der ACO Film GmbH – hergestellt wurde. Nach dem Krieg wird er von den alliierten Militärregierungen freigegeben, bei der Kritik fällt er jedoch durch. (28)
Dem „selbständigen“ Frauentyp begegnet man in Filmen wie Versprich mir nichts (1937) oder Die Gattin (1943). Hier wird der Kampf der Geschlechter auf dem Feld der Komödie ausgetragen. In Versprich mir nichts verkauft Monika Pratt (Luise Ullrich) um ihre Lebensverhältnisse zu verbessern, die Bilder ihres begabten, doch geschäftsuntüchtigen, an sich selbst zweifelnden Mannes unter ihrem Namen. Doch das anfängliche Versprechen auf mehr Autonomie erfüllt sich am Ende nicht.
Dieser Rollentausch zwischen den Geschlechtern ist nur deshalb legitim, weil die Männer zwar geniale Künstler sind, im richtigen Leben aber nicht „ihren Mann“ stehen.
Geschlechterrollen werden nur kurzeitig außer Kraft gesetzt, am Ende steht die Kapitulation der Frau.
„Überläufer“ – Filme
Via Mala (1943/44, R: Josef von Baky) , Fahrt ins Glück (1944/45, R: Erich Engel) und Erzieherin gesucht (1944/1945, R: Ulrich Erfurth) sind sogenannte Überläufer-Filme, die noch zu Kriegszeiten geplant bzw. gedreht wurden, aber erst nach 1945 zur Aufführung gelangten.
Am Beispiel von Via Mala zeigt sich die Willkür der Zensurpraxis. 1942 musste das Projekt zurückgestellt werden, da es dem Propagandaministerium zu „düster“ war. Im Sommer 1943 begannen die Dreharbeiten, doch wegen Nachaufnahmen und Tonsynchronisation konnte Via Mala erst im Frühjahr 1944 dem Ministerium vorgelegt werden. Nach einer weiteren Auflage, den Schluss umzuschneiden, wurde der Film Anfang März 1945 freigegeben.
Am 19. März wurde er von Goebbels wieder verboten, mit der gleichen Begründung wie bereits 1942. Uraufgeführt wurde der Film schließlich am 6.8. 1948 in Berlin (Ost). (29)
Erzieherin gesucht wurde ohne Angabe von Gründen „vorläufig gesperrt“, angeblich, weil der Stoff so trivial war, dass er selbst die niedrigen Qualitätsstandards des Ministeriums nicht erfüllte.
Als NSDAP-Mitglied wird Thea von Harbou 1945 von den Alliierten kurzzeitig inhaftiert und erhält Berufsverbot. Sie arbeitet erst auf dem Bau, später in einer Fabrik.
Nach dem Krieg folgen weitere Drehbücher: Es kommt ein Tag (1950), Dr. Holl (1950/51), Dein Herz ist meine Heimat (1953).
1952 schreibt sie den Roman „Gartenstraße 64“, der die Geschichte eines Hauses und seiner Bewohner im Nachkriegs-Berlin schildert.
Anlässlich der Wiederaufführung von Der müde Tod am 26. Juni 1954 im Berliner Delphi-Palast spricht Thea von Harbou einige einführende Worte. Beim Verlassen des Kinos stürzt sie und erleidet innere Verletzungen. Am 1. Juli 1954 stirbt Thea von Harbou an einem Gehirnschlag.
Fußnoten:
(1) „Thea von Harbou schreibt über Thea von Harbou.“ In: Pressematerial der Fama-Filmproduktion zu „Dr. Holl“, Wiederabdruck. Quelle: Deutsches Filminstitut – DIF, Frankfurt am Main.
(2) Der Krieg und die Frauen, Stuttgart/Berlin: Cotta, 1913; Deutsche Frauen. Bilder stillen Heldentums, Leipzig: Amelang, 1914; Der unsterbliche Acker. Ein Kriegsroman, Stuttgart: Cotta, 1915; Die junge Wacht am Rhein. Ein Kriegsbuch für die deutsche Jugend. Stuttgart: Levy & Müller, 1915.
(3) Thea von Harbou, Die Geschichte von der heiligen Simplicia. In dies., Legenden, Berlin: Ullstein & Co, 1920.
(4) Einem Zeitschriftenartikel zufolge ist Thea von Harbou, nachdem sie von der geplanten Verfilmung der „Heiligen Simplicia“ erfahren hat, empört zu ihrem Verlag und dann zum Regisseur Joe May gestürmt, der ihr nach einer langen Diskussion vorschlug, das Drehbuch selbst zu schreiben, weil er sie für talentiert hielt. Vgl. Hansjürgen Wille: Wie sie zum Drehbuch kamen. In: Filmwelt, 3.2.1939. Zitiert nach Reinhold Keiner, Thea von Harbou und der deutsche Film bis 1933, Hildesheim [u. a.]: Olms, 1984, S. 43.
(5) Karin Bruns: Kinomythen. Die Filmentwürfe der Thea von Harbou, Stuttgart: Metzler Verlag, 1995, S. 18.
(6) Vgl. Klaus Kreimeier: Die Ufa-Story. Geschichte eines Filmkonzerns, München/Wien: Carl Hanser Verlag, 1992, S. 168.
(7) Vgl. Wsevolod Pudovkin, Filmregie und Filmmanuskript. Mit Beiträgen von Thea von Harbou, L. Heilborn-Körbitz, Carl Mayer, S. Timoschenko, Berlin: Verlag der Lichtbildbühne, 1928, S. 213.
(8) Vgl. Karin Bruns: Kinomythen, a. a. O., S. 38 f.
(9) Vgl. Kracauers Kategorie des Ornamentalen: Siegfried Kracauer. Von Caligari zu Hitler. Eine psychologische Geschichte des deutschen Films. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2. Aufl. 1993, S. 103.
(10) „Jetzt werden draußen in Babelsberg die letzten Szenen zum zweiten Teil der „Nibelungen“ gedreht, während der erste seinen Siegeszug durch alle Länder der Erde macht. Trotz aller höhnischen Grimassen gewisser Filmkritiker, deren Ideal nun mal Konrad Veidt und Charlie Chaplin sind. Bewusst hat Thea von Harbou demgegenüber das germanische Schönheitsideal aufgepflanzt. Da habt ihr den sonnigen Recken, da habt ihr deutsches Weibtum, wie eure kühnsten Sehnsüchte es noch nie sahen! Das Wort ‚deutsch’ kommt dabei im Siegfried gar nicht vor. Es ist kein Reklamefilm. Es ist nichts Aufdringliches darin, keine völkische Phrase, es wirkt nur das innerlich Wesenhafte; das aber mit so erschütternder Gewalt, dass das Herz zu pochen beginnt wie ein Hammerwerk.“ Rumpelstilzchen (= Adolf Stein) 1923/24. Bei mir – Berlin. Band IV, Berlin: Brunnenverlag, 1924.
(11) „Und dann beginnt der Regisseur Lang alles zusammenzupressen, was diese letzten Jahre an Überreiztheit, Verderbnis, Sensation, und Spekulation uns brachten: wissenschaftlich durchdachte Verbrechen; Börsenrummel mit schieberisch jäh wechselnder Baisse und Hausse; exzentrische Spielklubs; Hypnose, Suggestion, Kokain, Spelunken, in die sich Genüßlinge und Bac-Spieler flüchten […]“. Kurt Pinthus, Dr. Mabuses Welt, in: Tagebuch 6.5.1922.
(12) Vgl. Literarische Welt vom 21.07.1927.
(13) Vgl. dazu „Auf exZentrischer Bahn: Raketenforschung und die Entstehung des Science-Fiction-Films in Deutschland“. In: Karin Bruns, Kinomythen, a. a. O., S. 77-105.
(14) Vgl. Briefwechsel zwischen Oberth und der Ufa, Quelle: Deutsches Filminstituts – DIF, Frankfurt am Main.
(15) Vgl. Karin Bruns, Kinomythen, a. a. O., S. 102f.
(16) Vgl. Reinhold Keiner, a. a. O., S. 163.
(16) 1928 gründet Thea von Harbou gemeinsam mit ihrer Cousine einen überparteilichen Frauenbund zur Reform der Sexualgesetzgebung. Vgl. „Meine Cousine Thea (Von Dr. Anne-Marie Durant-Wever)“. In: Reinhold Keiner, Thea von Harbou, a. a. O., S. 274.
(17) Eine Zusammenstellung, die unorganisch wirken muß, und doch ist merkwürdigerweise gerade das, was alle künstliche Konstruktion schlägt und unmittelbar zum Verstand, sogar zum Gefühl spricht; diese trostlose, trockene Statistik um den § 218 herum. Gerade da merkt man die Überzeugung, den Mut und die absolute Durchdrungenheit, mit der Thea v. Harbou an ihre Aufgabe heranging; wie sie sich ehrlich bemüht hat, Zahlen und Ziffern auf eine greifbare, klare Formel zu bringen.“ E. H. G., Morgenpost, Berlin, 22.10.1932
(18) Vgl. Zensurentscheidung der Film-Oberprüfstelle Berlin vom 13.5.1933, Nr. 6596, Quelle: Deutsches Filminstitut – DIF.
(19) „Die Unheilbaren gehen zum Film“, Dokumentarfilm über Thea von Harbou, DE 1997, R: Lore Prasch, BR 3, 6.2.1999)
(19) Vgl. Wolf-Ulrich Haentsch, Thea von Harbou und der Film im Dritten Reich. Eine Autorin zwischen Politik und Unterhaltung. Unveröff. Magister-Arbeit im Fachbereich 10 der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. (Exemplar der Bibliothek des Deutschen Filminstituts- DIF, Frankfurt am Main), S. 72 f.
(20) Vgl. Zensurentscheidung der Film-Oberprüfstelle vom 20.12.1933. Quelle: Deutsches-Filminstitut – DIF.
(21) Der Kinematograph, Berlin, Nr. 18, 26.01.1934.
(22) ebda.
(23) 48 % von 1094 gedrehten Filmen sind Komödien, 27% Melodramen, 14% Propagandafilme und 11% Actionfilme. Karsten Witte, Film im Nationalsozialismus. In: Jacobsen/Kaes/Prinzler, Die Geschichte des deutschen Films, Stuttgart: Metzler, 1993, S. 158.
(24) Haentsch belegt dies an einer Karteikarte der Reichsfilmkammer, auf der die Einkünfte der Autorin von 1940 bis 1943 vermerkt sind. Zu den „inoffiziellen“ Projekten gehören: „Fanny Eßler“ (Exposé; 1937, R: Paul Martin); „Ein Kind, ein Hund, ein Vagabund“ (1934, R: Arthur Maria Rabenalt. Dieser Film wurde nach seiner Uraufführung am 29.11.1934 wieder verboten. Einer Neubearbeitung stimmte das Propagandaministerium nach Protesten aus dem Ausland zu. Die Änderungen nahm Thea von Harbou vor); „Kleider machen Leute“ (1940, R: Helmut Käutner); der Propagandafilm „Ohm Krüger“ (1941, R: Hans Steinhoff); „Clarissa“ (1941, R: Gerhard Lamprecht); „Die Entlassung“ (1942, R: Wolfgang Liebeneier), „Damals“ (1943, R: Rolf Hansen), und der letzte Propagandafilm „Kolberg“ (1945, R: Veit Harlan). Vgl. Haentsch, a. a. O., S. 141 ff.
(25) Klaus Kreimeier, Die Ufa-Story, a. a. O., S. 295.
(26) Vgl. Haentsch, Thea von Harbou und der Film, a. a. O., S. 150.
(27) Vgl. ebda., S.151.
(28) „In dem deutschen Vorkriegsfilm Mit den Augen einer Frau wird vor den Augen des Publikums das Herz von Frau Olga Tschechowa dreimal gebrochen. Einfach so: knacks. Zunächst von einem geleckten Fatzken mit Stehkragen und diabolischem Blick. Später von einem einfach Unwiderstehlichen. Zum Schluß von einem arroganten Lümmel. Das Publikum fand das schön, weil es immer so unglücklich ausging. Auch der Rezensent war traurig, weil er nicht einsieht, was derlei beziehungsloser Kitsch, von dialogischen Plattitüden begleitet, heutzutage in deutschen Kinos zu suchen hat.“ G. G., „Überflüssig“. Der Sozialdemokrat, 6. April 1950.
(29) Vgl. Wolf-Ulrich Haentsch, a. a. O., S. 134.
Literatur:
Gedichte (o.O.), 1902
Weimar. Ein Sommernachtstraum/Tiefurt. Aus den Memoiren eines Sonnenstrahls/Belvedere. In einer Vollmondnacht. Drei Märchendichtungen. Weimar: Huschke 1908
Die nach uns kommen. Roman. Stuttgart, Berlin: Cotta 1910
Deutsche Frauen. Bilder stillen Heldentums. Leipzig: Amelang 1914
Die deutsche Frau im Weltkrieg. Einblicke und Ausblicke. Leipzig 1916
Der belagerte Tempel. Berlin, Wien 1917
Deutsche Frauen im Kampfe des Lebens, Leipzig 1916
Du bist unmöglich, Jo!, Berlin 1917
Die Flucht der Beate Hoyermann, Stuttgart, Berlin 1916
Das indische Grabmahl, Berlin 1921
Spione, Berlin 1928
Frau im Mond , Berlin 1928
Legenden, Berlin 1919
Aufblühender Lotos, Berlin 1941
Gartenstrasse 64, Berlin 1952
Du junge Wacht am Rhein! Ein Kriegsbuch für die deutsche Jugend, Stuttgart 1915
Das Mondscheinprinzeßchen. Stuttgart 1916
Film um das Schicksal einer Frau
Wenn’s morgen wird. In: Deutsche Zeitung, Nr. 9-15, 1905
Der Dieb von Bagdad, Holzminden 1949
Der unsterbliche Acker. Ein Kriegsroman, Stuttgart, Berlin 1915
Das Haus ohne Tür und Fenster, Berlin 1920
Das Nibelungenbuch, (Ausgabe mit 2 Texten von Thea von Harbou und Fritz Lang), Berlin 1923
Metropolis. (gekürzte Ausgabe, mit 8 ganzseitigen Bildern nach Aufnahmen aus dem gleichnamigen Film), Berlin, 1926