THE GIRL CAN HELP IT. Chantal Akerman hat eine Komödie inszeniert, die
wie ein Stilleben wirkt
Chantal Akerman ist
eine Meisterin des Stillebens. Die belgische Regisseurin komponiert ihre Filmbilder
so präzise, daß die Künstlichkeit des Arrangements deren Gegenteil
zum Vorschein bringt: die Natur eines Charakters, einer Emotion, einer Beziehung.
Der Affekt kommt dabei durch die Hintertür ins Spiel: über den Umweg
der Abstraktion.
In ihren bisherigen
Filmen erzählte Akerman deshalb niemals Geschichten, sondern inszenierte
Zustände. Die Einsamkeit zum Beispiel oder das Glück oder die Fremde.
Eine Geschichte braucht Zeit. Akermans Filme hielten die Zeit an: eine Nacht
lang (in "Toute une Nuit"), einen Sommer lang (in "Nuit et Jour"), einen Moskauer
Winter lang ("D'Est"). Die Bilder liefen zwar, aber sie liefen langsamer als
gewöhnlich im Kino.
Mit ihrem neuen Film
ist Chantal Akerman sich untreu geworden - und warum eigentlich nicht. "Eine
Couch in New York" ist eine klassische, laut Untertitel "romantische" Filmkomödie
mit allem, was ein Lustspiel für die Leinwand benötigt; einem Mann
und einer Frau, die zueinander nicht passen, zwei Orten (Paris und New York)
mit hohem Schauwert, dazu einem Wohnungstausch, einem neurotischen Hund und
weiteren Komplikationen, die das ungleiche Paar in unfreiwillig komische Situationen
und schließlich einander in die Arme treibt. Das Dumme ist nur, daß
die Regisseurin von ihrer Liebe zum Stilleben nicht lassen kann. Eine Komödie
verträgt aber keine Verlangsamung, keine malerischen Komplementärfarben
und kein elegisches Cello. Sie benötigt Tempo.
William Hurt als New
Yorker Psychoanalytiker Henry Harriston sieht müde aus. Ein blasser, verschlossener,
zögerlicher Typ mit knitterfreiem Anzug, Designer-Wohnung, hysterischer
Verlobter und Trauerfalten um den Mund. Kurz: ein Mann, der dringend erlöst
werden muß Weshalb er, auf der Flucht vor seinen Klienten, einen Wohnungstausch
New York - Paris annonciert und sich unversehens mitten im wahren, bunten Leben
wiederfindet: in Bellevil-le, dem Immigranten-Viertel der französischen
Hauptstadt. Und in der Wohnung von Beatrice.
Juliette Binoche als
Tänzerin Béatrice Saulnier verkörpert naturgemäß
das Gegenteil. Eine temperamentvolle Französin mit kokettem Akzent, verführerischem
Parfüm, Tauben in der Dachwohnung und chaotischem Liebesleben. Kurz: eine
Frau, wie geschaffen, um Männer wie Henry zum Menschsein zu erlösen.
Weshalb sie, auf der Flucht vor ihren Lovern, Henrys Annonce beantwortet und
sich wenig später in dessen New Yorker Wohnung mit dessen Hund Edgar, den
nervtötenden Klienten und den Tücken vollautomatisch schließender
Türen und Fenster konfrontiert sieht.
Selbstredend befreit
sie alle: den Hund von seinem häßlichen Namen, die Klienten von ihren
Komplexen und Henry selbst, der nach vorzeitiger Rückkehr inkognito auf
seiner eigenen Couch landet, von dessen steriler Existenz.
Dem Zuschauer beschert
dies immerhin hübsche Parodien auf die Psychoanalyse und Aperçus
auf die Liebe. So lehrt Freundin Anne (Stephanie Buttle) Béatrice das
Freudsche Vokabular ("Mmh", "Ja", Schweigen) und bemerkt einmal treffend, lieben
heiße, "einem anderen etwas geben zu wollen, was du nicht hast und was
der andere nicht will". Aber warum muß die reichlich abgenutzte "Pretty
Woman"-Story von der männlichen Midlife-crisis im Angesicht einer schönen,
jungen Frau nach Volker Schlöndorffs "Homo Faber", Louis Malles "Verhängnis"
und Roman Polanskis "Bitter Moon" nun ausgerechnet von einer Autorenfilmerin
noch einmal erzählt werden, zumal von einer erklärten Feministin?
Sei's drum: Welch aberwitzige
Szenen härte einer wie Billy Wilder soviel Verwicklung und Verwechslung
abgerungen! Chantal Akerman hat sich womöglich um subtileren Humor bemüht,
gelungen sind ihr jedoch lediglich exquisite Arrangements in betont artifiziellem
Studioambiente (Drehort: Babelsberg), Multikulti-Folklore in Brooklyn und Belleville
sowie akkurate Schuß-Gegenschuß-Dialoge. Ihr Minimalismus bewirkt
diesmal, daß die Bilder zerfallen. Der Zuschauer verfolgt Figuren, Erzählkonstruktion
und Farbdramaturgie, aber niemals eine Geschichte. Alleine Bild und Ton laufen
seltsam beziehungslos nebeneinander her (besonders in der deutschen Synchronfassung),
ganz so, als leide die Regie unter derselben Lebensferne und Entfremdung wie
Henry.
Da mag Henry noch so
oft an Beatrices Parfüm riechen und Beatrice an Henrys After-shave: "Eine
Couch in New York" bleibt bis zum Schluß keim- und geruchsfrei.
(Christiane
Peitz, Tip Berlin Nr. 18, 1996)