Weibliche Biographieforschung in der frühen Filmgeschichte



Weibliche Biographieforschung zu betreiben heißt, sich auf ein unbestimmtes Abenteuer einzulassen. Selten gehen Frauen leicht nachvollziehbare, geradlinige Wege, sondern sie erreichen ihr Ziel häufig auf Umwegen, arbeiten parallel in verschiedenen Funktionen und untermauern ihre diversen Rollen mit jeweils unterschiedlichen Pseudonymen. Beispielsweise agierte Else Bassermann unter ihrem angeheirateten Namen als Schauspielerin, schrieb aber ihre Drehbücher unter einem männlichen Pseudonym (Hans Hennings). In der Filmgeschichte wurde sie (vielleicht deshalb) nur als eine im Schatten ihres berühmten Ehemanns stehende Schauspielerin wahrgenommen. Daß sie nahezu alle Drehbücher, in denen ihr Mann Albert Bassermann die Hauptrolle verkörperte und sie häufig eine kleinere Rolle einnahm, schrieb, wurde bis heute vollkommen vergessen. Selbst solche "Vielschreiberinnen" wie Jane Bess oder Fanny Carlsen blieben in der Filmgeschichtsforschung nahezu unberücksichtigt. Dies liegt sicherlich auch an einem zu eng gefassten Wertemaßstab und an der bis in die 90er Jahre üblichen Kanonisierung eines für wichtig befundenen Filmkorpus, der sich ausschließlich an der männlichen Perspektive von Filmgeschichtsforschung orientierte.

Hinter dem Pseudonym verbargen sich häufig die unteschiedlichsten Varianten. So kreierte Rosa Porten eigens für ihre Regietätigkeit mit dem Ehemann Franz Eckstein ein gemeinsames Pseudonym: Dr. R. Portegg, schrieb ihre Drehbücher aber weiterhin unter ihrem Namen. Ebenso verfuhr Luise Heilborn-Körbitz, die die gemeinsame Drehbucharbeit mit Gerhard Lamprecht unter den Namen Hanns Torius publizierte. Die Benutzung von männlichen Pseudonymen war sehr verbreitet. Die in den 10er und 20er Jahren bekannte Roman- und Drehbuchautorin Margarete Michaelson beispielsweise schrieb fast ausschließlich unter ihrem männlichen Pseudonym Ernst Georgy. Manche Frauen verfügten über mehr als fünf Namen. Hella Moja war eine geborene Helene Moyzysczyck, nannte sich aber auch Helene Morawski, Helka Moroff, Hella Sewa und war verheiratet mit Heinrich Paul. Da die Melderegister der Stadtarchive alle unter den männlichen Namen (Ehemänner, Väter) geführt werden, sind Wohnorte kaum auszumachen. Zudem gehörte es in Künstlerkreisen offenbar zur Inszenierung der Weiblichkeit, die Geburtsdaten zu verschleiern. Die Angaben der Frauen wiesen oft Differenzen bis zu zehn Jahren auf. Auch dadurch waren Grenzen gesetzt, die Daten zu verifizieren.

Insgesamt umfasst das Forschungsergebnis 110 standardisierte Biographien, von denen zwölf im Internet präsentiert werden - von Kerstin Herlt zu einem besser lesbaren Fließtext bearbeitet. Zu einzelnen Biographien lag reichhaltiges Material vor, aber viele bleiben lückenhaft. Das begründet sich zum einen durch die oft schwierige Zuordnung von Pseudonymen, aber auch durch den Beginn des Dritten Reiches. Zu diesen Zeitpunkt brechen Lebenswege, insbesondere die der jüdischen Frauen, ganz ab oder sie finden sich in der Emigration wieder. Diese Spuren ausfindig zu machen, sind äußerst kompliziert und zeitaufwendig, da manche Frauen in der ganzen Welt verstreut waren, unter anderen Namen lebten, wieder heirateten oder den Anschluß an das Filmgeschäft nicht mehr schafften und so in den Medien nicht mehr präsent waren. Frauen, die den nationalsozialistischen Terror entrinnen und ihre Karriere beispielsweise in Hollywood fortsetzen konnten, wie Salka Viertel, Charlotte Hagenbruch oder Vicki Baum sind eher Ausnahmen. Die Autorinnen, Regiseurinnen und Produzentinnen, die in Deutschland blieben, hatten allesamt große Karriereeinbrüche hinzunehmen, die sie nie mehr überwinden konnten. Der Erfolg von Leni Riefenstahl im Dritten Reich darf nicht hinwegtäuschen, daß die Hochachtung und Unterstützung, die sie erfuhr, für Frauen in dieser Zeit singulär war. Selbst so bekannte Drehbuchautorinnen wie Marie Luise Droop, die u.a. für zahlreiche Flottenfilme Drehbücher verfasst hatte, für den Völkischen Beobachter schrieb und der NSDAP angehörte, beschwerte sich, daß sie, die sich bis 1933 mit wehrmachtspolitischen Fragen intensiv auseinandergesetzt hätte, nun als Frau aus allem ausgeschlossen sei (RSK-Fragebogen, 30.1.1938).

Deshalb verlaufen viele Biographien im Sand oder bleiben rätselhaft. Mit dem Internetprojekt soll ein erster Versuch gestartet werden, einzelne Biographien zugänglich zu machen, in der Hoffnung, daß die Internetnutzer ihr Wissen einbringen und so die Biographien vervollständigen helfen.(Gabriele Hansch/Gerlinde Waz, Filmpionierinnen in Deutschland. Ein Beitrag zur Filmgeschichtsschreibung. Abschlußbericht. Berlin 1998, 502 Seiten (unveröff.))



www. deutsches-filminstitut.de/f_films.htm